go back
on the road 21981, "Rock for Boatpeople", (Erinnerungen & Tagebuchauschnitte)

more info? Click here

more info? Click here



button On the road 4

more info? Click here






































 

 

Eigentlich hatten wir es immer aus den Fernsehbildern mit bekommen. Ein Flüchtlingsschiff nach dem
anderen, alle absolut seeuntauglich und total mit Menschen überladen, wurde im Südchinesischen
Meer aufgegabelt. Die Menschen: Flüchtlinge aus Vietnam, die ihr von den Amis verwüstetes und von
korrupten Regierungen unterjochtes Land in der Hoffnung verließen es würde irgendwo anders einen
Platz zu Leben geben. Wie viele tausend dieser "Boat-People" auf den abenteuerlichen Reisen auf dem
Meer blieben, ist nicht bekannt. Wer aufgefischt wurde, hatte die Chance, bis zur Stabilisierung der
politischen Verhältnisse, in einem Europäischen Land unter zukommen. Auch in Ostfriesland irgendwo
in der Krummhörn hinterm Deich, hatte man ein solches "Boat-People-Lager" eingerichtet. Da vegetier-
ten sie nun vor sich hin, von der Öffentlichkeit, bis auf ein paar wenige kulturell oder sozial engagierte
Aktivisten, wenig wahrgenommen, Landmenschen aus einer Region mit eher tropischem Klima, direkt
in unserem Schmuddel-Norddeutschland-Wetter.

Nun, sie sind ja erst mal gut aufgehoben. Dass Menschen aber außer ihrem rein physischen Über-
leben, einem Dach überm Kopf, Kleidung und Essen auch kulturelle Bedürfnisse haben, brachte ein
paar Intellektuelle auf die Idee, man könne doch einmal ein Festival für die Boat-People organisieren.
Ein paar bekannte lokale Bands, die natürlich umsonst spielen, das bringt lokale Jugendliche und Viet-
namesen bestimmt zusammen, fördert den kulturellen Austausch und wirft aus den Eintrittsgeldern
auch noch die ein oder andere Mark für Kleininvestitionen im Lager ab. So weit oder kurz gedacht oder
vermutet.

Wir hatten eigentlich für dieses Jahr unseren Bedarf an Klein-Open-Airs oder den sogenannten Um-
sonst-und-Draußen-Festivals, bis zum Abwinken gedeckt. Die meisten Festivals waren verregnet oder
man spielte sich bei einem Free-Konzert vor lauter zugekifften Leuten die sowieso nur ihren Rausch in
der Birne genießen wollten die Finger wund. Außerdem arbeiteten wir gerade an neuen Songs für die Winterkonzerte... Aber gut, wenn denn wenigstens eine vernünftige Anlage da stand und man so einen
Teil der neuen Songs einmal live ausprobieren und gleich mitschneiden konnte, warum nicht. Und
schließlich wollten wir ja auch unseren Beitrag zur Völkerverständigung leisten.

Also fahren wir an jenem Donnerstag im Spätherbst durch das regnerische Ostfriesland bis an jenen
äußersten Rand der Krummhörn, wo wir nach einigem Suchen schließlich das Vietnamesenkamp und
etwas seitlich davon unüberhörbar das Festivalzelt finden. Wir sind spät dran. Als dritte Band von
vieren und die zweite spielt bereits. Kurti Hassel aus Emden macht Sound, sehr gut, da steht dem
geplanten Mitschnitt nichts mehr im Wege. Klamotten raus aus dem Bulli und im Backstage schon
mal alles aufgebaut damit´s gleich schneller geht. Bisher noch keinen Blick ins Publikum geworfen...
es scheint aber welches da zu sein, wenn man nach dem vernehmbaren Applaus geht. Unglaublich
hier am absoluten AdW.

"Top" aus Emden beenden nur wenige Augenblicke später nach der zweiten Zugabe ihr Set. Sie bau-
en links ab, wir rechts auf, kurzes Shake Hands mit Günni vom Emder Musik-Ei, der diesmal sowohl
als Bassist von "Top" als auch gleichzeitig als Moderator fungiert. Sehr kurzer Soundcheck und los
geht´s. Kurti´s Rekorder ist leider kaput erfahre ich. "Das Gerät gehört in den Delft geschmissen," hat
er uns achselzuckend gesagt. Schade, kein Mitschnitt. Aber guter Sound und das gefällt. Spielen das
gesamte neue Set, fast alles Latinstücke im Stile von Santana nur etwas härter, dann noch ein paar
Plasma-Klassiger und unser Soloset. Das Publikum geht gut mit. Fast alles Gesichter, die man schon
mal auf irgendeinem der vielen Ostfriesland-Gigs gesehen hat. Erst gegen Ende fällt mir wieder ein, wes-
wegen wir eigentlich hier spielen und für wen, doch von den "Boat-People" kann ich niemand ent-
decken. Auch niemand, der oder die wenigstens halbwegs asiatisch aussieht, bis auf Julia, die Frau
unseres Managers am Lichtpult.

Beschließen, nach dem Abbauen dieser Sache auf den Grund zu gehen..und werden im allerletzten
Teil des Zeltes (da wo man den Krach der Bühne nicht mehr so hört) fündig. An zwei Tischen sitzen
insgesamt 12 Vietnamesen und fröhnen voller Begeisterung und Leidenschaft einem Kartenspiel, das
unserem Doppelkopf recht ähnlich zu sein scheint. Da keiner deutsch spricht, ist auch nicht heraus
zufinden, ob sie überhaupt etwas davon mitbekommen haben, was da für eine Veranstaltung läuft. Vom
Veranstalter selbst erfahren wir diesbezüglich auch nichts näheres.

Das mit dem Konzert hat jedenfalls dank des kostenfreien Einsatzes der Künstler 1.700,00 DM in
die Kassen gespült, die ihren Wohltätigen Zweck wohl auch zukommen werden. Das mit der Völker-
verständigung oder dem gewünschten kulturellen Austausch hätte man besser mit einem wöchentlichen
Doppelkopfturnier im lokalen Gasthof zusammen mit der einheimischen Bevölkerung lösen können.
Zumal, wenn man bedenkt, dass diese Menschen aus Kriegsgebiet kommen und mit einem für ihre
Ohren wahrscheinlich akustischen Massaker, wie es ein Rockkonzert darstellt, bestimmt nichts am
Hut haben.

nach oben