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...auch
die bundesdeutsche Musikszene befand sich im tiefgreifenden Wandel. Es
entstand
eine Bewegung, ein Kontrast zu dem oft rein am Profit orientierten Kulturgeschäft.
Einer der
absoluten Höhepunkte dieser Gegenkultur war für mich das "Vlothoerlebnis
1978". Vlotho, ein
"Umsonst & Draußen" - Festival aus der Alternativjugendszene
organisiert, gab es bereits seit
ein paar Jahren als kleinere lokale Veranstaltung. Vlotho `78 sprengte
dann auf einmal jeden
bisher gekannten Rahmen und wurde später in der Szene auch als deutsches
Woodstock
bezeichnet. Die Entwicklung dahinter und davor gestaltete sich in etwa
so:
...1976
setzte sich diese neue Bewegung im Festivalbereich fort. Hatten sich die
kommerziellen
Veranstaltungen zwar als Magnet für Acts der großen Rockszene
erwiesen, war jedoch spätes-
tens seit dem hochgesponserten "Scheeßel-Festival" (das
1977 in einem Desaster endete) klar,
dass dieses Modell der immer höher gezüchteten und teureren
"Acker-Acts" auf Dauer nicht
funktionieren würde.
Parallel
zu den kommerziell erfolgreicheren Deutschrock-Bands fanden sich unter
dem Namen
"Schneeball" verschiedene Künstler und Bands aus der Jazzrock-,
Folk-, Alternativrock- und
Liedermacherszene zusammen und begannen, zunächst fern von kommerziellen
Musikmarkt,
eine eigene Infrastruktur für Konzerte, Festivals, Kunstaktionen,
Plattenvertrieb und auch poli-
tischer Einmischung aufzubauen. Bands wie "Checkpoint Charlie",
"Embryo", "Missus Beastly",
aber auch alternative Bühnen, allen voran das "Mathom Re-Theater"
und Liedermacher wie
"Julius Schittenhelm" bildeten die erste Generation dieser Bewegung,
in deren Umfeld dann
auch die ersten alternativen "Umsonst & Draußen" -
Festivals" stattfanden.
Einher
mit dieser musikalisch künstlerischen Bewegung entwickelten sich
in den Unistädten
aus den Resten der Protestbewegung und Polit-WG´s aber auch Landkommunen,
neue Grup-
pierungen, die beginnende Anti-AKW-Bewegung. Lokale Protestinitiativen
wie "Startbahn-West"
wuchsen schnell zu bundesweitem Interesse an, während in ländlicheren
Regionen, auch in
Ostfriesland, die alte klein-bürgerliche Mittelschicht mit Ihrem
Mief aus Geschichtsverschwei-
gen, romantisierender Kriegsschwärmerei und unter öffentlicher
Deckung durch ihre auf Denk-
beschränkung bedachten Presseorgane sich jeglichen Neuerungen verschloss
und eine politisch
und kulturell immer erdrückendere Atmosphäre verbreitete.
Doch
auch unter Widerständen fand die Jugendkultur etwas abseits der offiziell
geduldeten
Lebensarten ihre Räume. Die JZ-Bewegung fand mit etwas Verspätung
auch in Ostfriesland
statt und so gab es neben der Kneipenszene und den paar versprengten "progressiven
Disco-
theken", die allerdings auch bundesweite Vergleiche nicht zu scheuen
brauchten, endlich
neue Auftrittsorte und eine geld-beutelfreundliche Alternative zu den
doch auf Dauer zu teuren
Kneipen-Treffpunkten.
Zudem
war das auch eine Möglichkeit, erstmals politisch (jedenfalls meinten
wir das damals)
aktiv zu werden. Hierzu gehörte u.a. endlich eine KDV-Beratung, die
auch funktionierte und
natürlich sogenannte "Aktionen". Da wurde dann schon mal
spontan eine Kreuzung blockiert,
um auf Schulmissstände aufmerksam zu machen, gegen die doch recht
konservative und
jugendfeindliche Lokalpresse anzugehen und Schulmobbing, dass in Aurich
zu mehreren
SchülerInnen-Selbstmorden führte, zum Thema zu machen....
In
vielen kleineren Städten hatten sich Konzertforen mit mehreren kleinen
lokalen Bands und
einem überregionalen Akt etabliert. Das ganze zu erschwinglichen
Preisen, so etwas wurde
gerne angenommen. In Emden gründete sich das Emder "Musik-Ei"
und veranstaltete als
Musikinitiative im neuen Theater solche Konzerte und auch die ersten mehrtägigen
Musik-
festivals mit lokalen Bands in verschiedenen Sparten in der Nordseehalle.
In Aurich hatte die
NMI (die Nordwest-Musik-Initiative) unter dem Namen "Sock-Hop"
das alte Schüler-Musikfes-
tival reanimiert und führte im Ostfrieslandhaus regelmäßig
kleinere Veranstaltungen neben
den Konzerten mit den "großen" Deutsch-rockbands durch.
Ab
Mitte der 70-ger kamen dann zunächst die musisch/künstlerischen,
später alle diese Grup-
pen in größeren Bewegungen zusammen, die auch ihre kulturellen
Aufführungspendants hatten,
die soge-nannten "Umsonst & Draußen"- Festivals. Waren
es anfangs die kleineren Festivals in
der Nähe, wie das zunächst zwei- später dreitägige
"Papenburg Umsonst & Draußen Open Air",
das neben den lokalen Größen wie "Funkbob", "Market",
"Circumstances", "Amuthon", "Cats
TV", "Paco Paco" usw., Bands aus dem "Schneeball"-Umfeld
und erstmals auch Theater wie
das "Mathom Re" (später auch ausländische Gruppen
wie "Tribute" aus Schweden) präsentier-
te, die von uns gerne und ausgiebig besucht wurden, so rückte doch
spätestens seit der um-
fangreichen NDR-Berichterstattung ab 1978 das "Umsonst & Draußen"-
Festival in Vlotho an
der Porta Westfalica in den Vordergrund des Interesses.
Das
war natürlich schon eine etwas andere Größe. Schließlich
musste man ja zunächst erst
mal die ca. 300 km per Tramptour abseits der schnellen Autobahnverbindungen
zurücklegen
und da man ja nicht alles mitschleppen konnte, hatten die meisten von
uns, die so anreisten,
lediglich ein paar T-Shirts und, wenn überhaupt, Schlafsack und Zahnbürste
dabei. Irgendwie
ging man davon aus, alles andere werde sich vor Ort schon finden. Irgendwie
tat es das ja auch.
Spätestens abends an irgend-einem Lagerfeuer fand man irgend jemanden,
der oder die noch
einen Pennplatz frei hatte. Aber darum ging es ja nicht in erster Linie.
Man wollte ja einfach
viel erleben und das mit Leuten, die in vermuteter Weise ähnlich
drauf waren, wie man selbst.
Vlotho
hatte schon etwas Magisches. Wenn ich heute darüber nachdenke,
woran ich das
festmachen könnte, dann vielleicht an folgenden Äußerlichkeiten:
1)
Das Gelände lag etwas abseits zwischen verschiedenen Ortschaften
inmitten von Feldern,
nahe eines Waldes in einer stillgelegten Kiesgrube. Mehrere provisorische
Campingplätze
waren in unmittelbarer Nähe angelegt worden.
Bereits
auf dem Weg zum eigentlichen Gelände kam man an den abenteuerlichsten
Wohnmo-
bilen weltbereister Freaks z. T. aus verschiedensten Ländern vorbei,
was ein internationales
Flair durchaus aufkommen ließ. Bereits hier konnte man sich mit
verschiedensten Ökofoods
verköstigen (was zwar nicht so gerne seitens der Festivalmacher gesehen,
aber trotzdem
toleriert wurde) und die gute DM gegen das mit Sonne/Mondsymbol bedruckte
"Vlotho-Geld"
eintauschen, die einzige Währung, die im Innenbereich des Festivals
akzeptiert wurde (eine
hübsche Geste und ein Erinnerungsstück für den Sammler
seltener Geldscheine).
2)
Wenn man auf das Gelände kam, erinnerte es zunächst eher an
einen offenen bunten Ba-
sar, als an die sonst so wohlbekannten Doppelzäune der kommerziellen
Festivals, die eher
ein Gefühl von Gefangenenlager als von Kulturereignis hervorriefen.
Auf diesem Kulturjahrmarkt
konnte man so ziemlich alles finden, was den (jugend)-kulturell offenen
Menschen in dieser
Zeit interessierte. Da gab es Stände mit Indienklamotten, Ethnomusikinstrumenten,
unend-
lichen Varianten an Shillums und anderen Haschutensilien, jede Menge Infostände
mit Heft-
chen aller möglichen alternativen Bewegungen in Deutschland, Platten-stände
mit Raritäten
aus dem Deutschrock und natürlich auch den Stand des "Schneeball"-Labels.
3)
Das ganze Innengelände konnte man mehrdimensional erleben. Kurz hinter
dem Hauptein-
gang in mittlerer Höhe befand sich die erste Bühne. Hier gab
es Livemusik der leiseren Art
und Theateraufführungen tagsüber. Abends war das natürlich
anders. Von diesem Punkt
konnte man die untere Ebene einsehen, wo sich die Hauptbühne und
an der anderen Talseite
die zweite Bühne befanden, ebenso Info- und Verpflegungsstände.
Von hier aus konnte man
aber auch die Hänge rundum ein-sehen, wo sich Leute mit Zelten niedergelassen
hatten. Ge-
rade nachts erleuchteten die vielen Lagerfeuer von dort den Talkessel
und schufen so eine
wunderschöne Kulisse für alles, was sich unten im Tal, an den
Ständen oder Bühnen so tat.
4)
Es gab nicht wie auf anderen Festivals das Postulat des teuren "Alkohol-trinken-müssens",
um die Einnahmen der Festivalmacher zu steigern. Statt dessen fand man
ein reichhaltiges
Angebot an Voll-kornbroten, Müslis, Säften, Tees und sonstigen
teils exotischen Verköstigungen,
immer genug um alle, wenn auch mit Wartezeiten, satt zu kriegen und das
meiste eben hand-
made und frisch.
5)
Insgesamt schien es mir, als wenn allen (Organisatoren und Besuchern)
klar war, dass
dieses Festival nur funktionieren konnte, wenn man zu viel Rücksicht
und gegenseitiger
Verantwortung auch gegenüber den Anliegern bereit war. Dies zeigte
sich z. B. darin, dass
einige Zuwegungen sofort geräumt wurden, als die Durchsage kam, die
Landwirte müssten,
da Regen drohte, mit ihren Mäh-dreschern jetzt auf die umliegenden
Felder, um die Ernte
einzubringen.
Irgendwann
Abends war ich mal vor der 2. Bühne im Tal weggepennt. Die Auftritte
von "Berta
& Friends", "Checkpoint Charlie" und Uli Treptes "Spacebox"
auf den beiden kleineren Bühnen
hatte ich noch so eben mitbekommen. "Munju" auf der Hauptbühne
spielten mich dann mit
leichtem Jazz-Rock-Cross-Over zusammen mit einigen anderen in den Schlaf.
Wir dösten
seelig-erschöpft einfach da weg, wo wir gerade waren. Kein Wunder
nach 3 Tagen mit durch-
schnittlich nur 2-3 Stunden Nachtruhe.
Es
muss so gegen halb 4.00 Uhr gewesen sein. Unten im Tal vor der Bühne
hatten vielleicht
gerade noch 300 Leutchen ausgeharrt, in den Hängen brannten die letzten
Lagerfeuer, über
dem Talkessel stand eine schwarzblaue Nacht mit Sternenhimmel und Halbmond,
der Festi-
valtag war für die meisten schon lange zu Ende. Dann machte plötzlich
das Gerücht die Runde,
dass "Embryo" zu früher Stunde doch noch spielen sollten.
"Embryo" waren damals direkt
nach ihrer Fern-Ost-Expedition der Kult schlechthin und eines der schillerndsten
Gesprächs-
themen auf dem Gelände.
Die
Band baute auf und fing ohne langen Soundcheck einfach an zu jammen. "Do
you know,
do you know what time it is..." Diese einfache Textzeile, über
eine Vibraphonmelodie immer
wiederholt und variiert, entwickelte sich zu einem afro-/latinartigen
Groove mit teilweise indischen
und arabischen Melodieeinflüssen, der in die Beine ging und fluchs
alle Müdigkeit vertrieb. Es
schien allen vor der Bühne so zu ergehen. Kaum einer, der noch saß,
ein elektrisierender Tanz
breitete sich aus. Alles war im Fluss, wie man zu sagen pflegt. "Getalongwithasong"
hieß das
Stück und machte seinem Namen alle Ehre. Es transportierte so was
wie "Weltfeeling". Auch
die nächsten Titel hatten ähnlich extatisierende Wirkung.
In
den Hängen flackerten die Feuer wieder auf, es begann eine regelrechte
Völkerwanderung.
Soweit man schauen konnte Menschen, die tanzten. Am Ende des Auftritts
mögen es wohl
über 5000 Besucher gewesen sein, die diesen einzigartigen "Anti-Aging-Act"
miterlebt haben,
der den Übergang von Nacht zu Tag vergessen ließ und erst zu
Ende war, als die Morgenson-
ne ihre Strahlen über den Berg schickte...
Die
fünf Tage von Vlotho hatten bei mir einen starken Eindruck eines
ganz anderen Modells
von Kultur-Organisation, Leben und Erleben, wach und müde und dabei
gelöst, angstfrei und
erfüllt zu sein, hinterlassen, als ich dieses mir bis dato vorstellen
konnte. Das so etwas nicht
nachzumachen oder zu toppen war, wurde schnell klar, als wir als Band
auf diversen soge-
nannten "Umsonst & Draußen" - Festivals spielten.
Nicht das die schlecht organisiert gewesen
wären oder das Publikum zu blöde...Vlotho war etwas ganz Besonderes
gewesen, darüber war
man sich auch unter den Besuchern ein Jahr später noch einig und
dabei blieb es auch.
Nie
mehr habe ich dieses einzigartige Gefühl von Offenheit und Vertrautheit
trotz Fremde und
diese Freude erlebt wie in Vlotho. Dieses ist nicht unbedingt den jeweiligen
FestivalmacherIn-
nen anzulasten, die auch hier immer mit viel Engagement bei der Sache
waren. Es war eher
die Beobachtung einer immer stärker werdenden konsumorientierten
Haltung bei den meisten
BesucherInnen, welche das Aufkommen eines solch starken Gemeinschaftsgefühls
verhinderte.
Jedenfalls
war für mich die Zeit der Umsonst&Draußen-Festivals ab
1983 als Besucher gestor-
ben. Ich habe dann noch bei den Papenburg Open Air und in Halbemond als
Tontechniker gejobt
und mit der Band auf vielen kleineren Festivals gespielt, aber die Begeisterung
wollte so nicht
mehr aufkommen. Wie viele andere, die u. a. auch solche Festivals mitorganisiert
hatten, ergab
sich auch für mich eine ganz neue Perspektive Kultur mit zu gestalten
und politisches Interesse
einzubringen: Die Friedensbewegung.....
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